Yoga
Serie: Wurzeln des Yoga #01

Auf Entdeckungsreise zu den Wurzeln der modernen Yoga Posen

Die Serie Roots of Yoga (Wurzeln des Yoga) soll eine investigation in die ursprünglichen Praktiken aufzeigen, welche sich durch moderne Interpretationen und Mythen manches mal doch etwas oder gar komplett von der Tradition entfernt hat. Dies kann schnell als Kritik aufgenommen werden, was nicht die Intention dieser Reihe ist. Wie seit jeher in der Geschichte des Yoga, hat sich die Praxis an den zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext angepasst oder wurde verfeinert und weiterentwickelt. Dies passiert auch heute und das ist gut so. Dennoch per definition ist Tradition, Techniken unverändert zu lernen und wenn überhaupt, erst danach weiterzuentwickeln oder abzuwandeln. Es ist vielmehr so, dass eine exakte Wiederholung der Lehren als höchstes Gut angesehen wird. Heutzutage wird eine Kopie von etwas bekanntem eher als Plagiat angesehen. Neuartig soll es sein, kreativ, einzigartig, Individualität und Innovation wird geschätzt.

Diese Serie soll demnach die ursprünglichen Ideen und Prinzipien der originalen Schriften* aufgreifen, um Klarheit über die Praktiken und deren Ursprung und Ziel zu schaffen, um so bewusster die heutigen Weiterentwicklungen einordnen zu können und zu sehen, ob diese die eigene Praxis positiv beeinflussen oder vielleicht gar nur "New Age Verkaufsstrategien” sind. Der Vorteil einer Tradition ist, das jene Techniken, wenn sie durch Lineage aufrechterhalten wurde, teilweise über Jahrhunderte und von Millionen von Praktizierenden geübt wurden und als effektiv und funktionierend erprobt wurden. Das heißt nicht, dass nicht auch Innovationen und neuartige Yogatechniken funktionieren können oder das Tradition für jeden passt und effektiv ist. In der Wissenschaft sehen wir auch einen schönen Trend, der viele der alten Praktiken vom Standpunkt der modernen Wissenschaft untersucht und validiert.

Der Ursprung von Āsana

Die frühste Quelle über das Wort Āsana, die sich auf eine Haltung oder einen Sitz bezieht, finden wir in einer Schrift die schon über zweitausend Jahre alt ist (Buddhacarita, ca. 50 CE). Doch ohne große Beschreibungen, wie diese aussieht oder auszuführen ist. Die gängige Übersetzung ist schon der erste kleine Stolperstein, denn häufig übersetzen wir Āsana mit “Körperhaltung”. Das ist nicht ganz falsch, jedoch im Kontext der original Schriften, wird mit Āsana meist auf eine bestimmte Körperhaltung, und zwar den Sitz oder eine Art zu sitzen, hingewiesen. Das Wort selbst hat ās als Wurzel, welches als “sitzen”, aber auch als “verweilen” übersetzt werden kann. Āsana hatte also in dem post-modernen Kontext nichts mit den heutigen Yoga-Posen zu tun – diese wurden erst fast Zweitausend Jahre später “erfunden”. Mehr dazu später.

In der wohl bekanntesten Schrift des Klassischen Yoga (Pātañjalayogaśāstra, welche übrigens die Yoga Sutras von Pātañjali beinhalten), eine der frühsten systematischen Beschreibungen des Yoga, ist der Sitz, Āsana, als das dritte von acht Gliedern (ashtanga) des Yogaweges beschrieben. Jedoch verliert Pātañjali (der Author) nicht viele Worte (nur 3 von 196 Versen) darüber, was zumindest darauf hindeutet, dass der Sitz nicht allzu wichtig war.

Auszug aus den Yoga Sutra von Pātañjali über die Acht Glieder des Yoga:
"The eight auxiliaries are moral vows, the observances, the seat, breath-control, sense withdrawal, Focused concentration, meditation and absorption."

Die frühsten, sowie die meisten vor-modernen Beschreibung über Yogahaltungen sagen uns, wir sollen stabil (sthira) und entspannt (sukham) verweilen (āsanam) (Sutra 2.46). Keine mir bekannte Originalquelle spricht davon, möglichst flexibel zu werden. Ich kenne viele Leute, die Yoga machen, um flexibler zu werden, oder leider gar nicht erst anfangen, da sie denken “Ich bin ja eh nicht flexibel genug”. Zumindest wissen wir jetzt, das war nie das primäre Ziel im Yoga – im Gegenteil. Vielleicht kann das den einen oder anderen ja dazu motivieren, mit Yoga anzufangen!

Die ersten Yoga posen

Wie wir sehen, ist das Konzept der Yoga Āsana durch Pātañjali und andere schon so alt wie unsere Religionen, doch Pātañjali hat Āsana nicht erfunden. Vor allem der Lotussitz (padmāsana), aber auch andere Sitzhaltungen waren in Indien weit vorbereitet für Meditation (in Kauṇḍinya’s Kommentar der Pāśupatasūtra (4. Jahrhundert) finden wir 7 Āsanas mit der Anmerkung “und weitere”).

Spannend ist es, in eine Schrift vom 8. Jahrhundert (Pātañjalayogaśāstravivaraṇa) zu schauen, dort werden uns konkretere Posen beschrieben, 12 an der Zahl, welche jedoch “nur” Variationen eines einfachen Sitzes im Yoga sind.
The 'lotus' (padmāsana), 'hero' (vīrāsana), 'good fortune' (bhadrāsana), 'lucky mark' (svastikāsana), 'stick' (daṇḍāsana), 'supported' (sopāśraya), 'couch' (paryaṅka), 'seated crane' (krauñcaniṣadanaṃ), 'seated elephant' (hastiniṣadana), 'seated camel' (uṣṭraniṣadana), 'symmetrical' (samasaṃsthāna), 'steadily serene' (sthitaprasrabdhi).

Auch hier fügt der Autor an, “oder was auch immer komfortabel ist” (yathāsukham). Das deutet darauf hin, dass es für die Yogis damals nicht wichtig war, wie der Körper positioniert wurde, solange dieser Meditation unterstützt.

In der frühsten tantrische Schrift (Niśvāsatattvasaṃhitā Nayasūtra, 14c–15d) in der Posen erwähnt werden, finden wir acht einfache Sitzhaltungen, jedoch ohne genaue Beschreibungen. Es wird vorausgesetzt das der Praktizierende einen stabilen Sitz kennt.
The lucky mark (svastikāsana), lotus (padmaka), good fortune, half-moon (ardhacandra), extended (prasārita), supported (sāpāśraya), joined-hands (añjalika) and yoga belt (yogapaṭṭa).

Die frühste bekannte Beschreibung einer Āsana, welche kein einfacher Sitz ist, finden wir in einem Text der Vaikhānasa Vaiṣṇava Tradition (Vimānārcanākalpa, 10. Jahrhundert). Dort finden wir Mayūrāsana (peacock pose) als eine von neun Āsana (wovon acht Sitzhaltungen sind). In einem anderem Teil der Vaiṣṇava Lehren (Vasiṣṭhasaṃhitā) finden wir außerdem die Pose kukkuṭāsana (the cock).

Die oben beschriebenen Schriften und Hemacandra’s Yogaśāstra sind die frühste Quellen von komplexen Āsana. In letzterer finden wir zB duryodhanāsana, den Kopfstand (auch kapālīkaraṇa, skull technique benannt). Bemerkenswert ist jedoch, dass Hemacandra Āsana für “normale Praktizierende” anführt und nicht nur für Asketen (wie sonst üblich), welche dazu neigen sehr extrem zu werden in der Ausführung (vor allem der Haltedauer einer Pose). Eine unserer Lieblingsposen, śavāsana (aus Dattātreyayogaśāstra, 13. Jahrhundert) wurde als geheime Methode beschrieben, um den Geist in das Absolute aufzulösen. Ein andere Schrift (Jogpradīpakā ) erwähnt den Schulterstand (Viparītakaraṇāsana) als Umkehrhaltung welche die Erdanziehungskraft nutzt, um das herab fließen der Lebenskraft umzukehren.

Viele der erwähnten Posen sind in den wohl bekanntesten Text des haṭhayoga, der Haṭhapradīpikā (16. Jahrhundert) eingeflossen, die ursprünglich 15 Yoga Haltungen beschrieb, wovon acht keine Sitzhaltungen sind. Von dieser Schrift hat sich unser modernes Bild der Yoga-Posen entwickelt.

Fun Fact: eine Yoga Schrift (Mallapurāṇa, 15. Jahrhundert) beschreibt Posen für Wrestler die gegen Elefanten kämpfen oder eine andere (Varṇaratnākara, 14. Jahrhundert) Sexhaltungen zum Liebe machen.

Moderne Yoga Posen

Moderne Posen wie trikoṇāsana, das Dreieck, tauchen erst im 20. Jahrhundert auf und haben keinen Ursprung in den originalen Quellen – jedoch wird in Schriften erwähnt, dass 8.400.000 Āsana existieren (Dattātreyayogaśāstra) oder ‘soviel wie es Lebewesen’ (Vivekamārtaṇḍa) gibt.

In den letzten ca. 400 Jahren wurden dann nach und nach mehr und komplexere Haltungen im stehen und sitzen beschrieben. Wir finden beispielsweise 84 Posen im “Buch der Yoga Posen” (Āsanayogagrantha) aus dem 17. Jahrhundert, oder weitere Schriften die 108 oder 112, etc. Posen aufzählen (und in späteren Kommentaren der Haṭhapradīpikā zugeordnet werden).

Jedoch ist anzunehmen, dass komplexe Posen schon lange Zeit von Yogis praktiziert wurden, ohne jedoch nicht als maßgebliches Merkmal des Yoga steht. Wir bekommen einen Hinweis darauf von einem Mitglieder Alexander des Großen (ca. 4. Jahrhundert v. C.):
"fifteen men standing in different postures, sitting or lying down ... the other stood on one leg" oder in der Mahābhārata wird erwähnt: “ascetics who invert themselves, stand on one leg or hold their arms up in the air for long periods”.
"ascetics who invert themselves, stand on one leg or hold their arms up in the air for long periods".

Der Grund diese Posen einzunehmen, war sehr vermutlich ein anderer als heute. Die bewegungslose Posen dienten als Werkzeug zur Enthaltsamkeit, das sowohl Karma verbrennt als auch das entstehen neuen Karmas verhindert und so die Befreiung vom Rad der Wiedergeburt bewirkt.

Eines der bekannteren modernen Bücher ist “2100 Āsanas” (von Daniel Lacera aka Mr. Yoga) indem etliche Posen und Variationen auf hochglanz Fotos abgelichtet sind, von Yoga praktizierenden, die auch Models sein könnten. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und wir müssen uns Gedanken machen, wo wir die Linie ziehen wollen, was Yoga ist und was nicht. In so gut wie allen traditionellen Yogastilen gibt es beispielsweise das Mantra “Om” als verbindendes Element. Ob dieses traditionelle Element in midday-work-break “power yoga flow” sessions im Gym nebenan überlebt?

Ziel von Āsana – damals und heute

Schon Pātañjali (ca. 4. Jahrhundert, Pātañjalayogaśāstra) schrieb, um eine Āsana zu meistern braucht es “Entspannung und Fokus auf das unendliche” (Sutra 2.47). “Durch das meistern des Sitzens werden die Gegensätze [z.B. mentale und emotionale Spannungen] aufgelöst” (Sutra 2.48). Das sind u.a. Effekte von Meditation, die viele moderne Studien belegen – jedoch vermutlich weniger die Effekte, die in modernen Yoga Klassen zu finden sind? Oder hast du dich schon mal auf das “unendliche” besinnt während des Yoga flows? Das wir das heute oft nicht mehr tun hat seine Gründe und das ist okay. Wie anfangs erwähnt, Yoga ist immer im im Zeitgeist zu betrachten.

Bis zu den ersten Haṭhayoga Texten (ca. 1300) gab es zwei vorherrschende Gründe von Yogis Āsana zu praktizieren. Zum ersten eine stabile Haltung für Atemübungen, Mantra chanting und Meditation zu etablieren zum Zweck der Selbst-Realisierung. Erleuchtung oder Erwachen ist aus unserer westlichen Sicht nicht so einfach zu greifen, denn dazu muss der spezifische Hintergrund der spirituellen Weltsicht bekannt sein – der wiederum von Tradition zu Tradition anders ist. In einfachen Worten zusammengefasst wird in den meisten Systemen die absolute Freiheit angestrebt. Im Tantra kann dies auch im “normalen Leben stattfinden”, in anderen Weltsichten ist das erst nach oder durch den Tod möglich.

Zum Zweiten heißt es, dass übernatürliche Kräfte erlangt werden können, vor allem durch tapas (asketische Disziplin), die unter anderem auch Karma auflöst.

Durch die haṭhayoga Schriften wurden dann therapeutische Vorteile für den Körper hervorgehoben, jedoch noch immer als Vorbereitung für die eigentliche Yoga Praxis: das meditieren zur Selbst-Realisierung.

Ein weiterer Unterschied war die Anzahl von Āsanas die praktiziert wird. Heute gehen wir von einer Haltung in die nächste, manchmal mit der Dauer von nur einem Atemzug. Der ursprüngliche Ansatz war eher umgekehrt; es galt als ausreichend eine einzige Āsana zu praktizieren, aber diese für eine sehr lange Zeit. Yogi Purāṇ Puri, hielt angeblich seine Arme für mehrere Jahre über dem Kopf ausgestreckt. Ob wir so extrem werden müssen, sei dahin gestellt.

Es ist erst seit den letzten 150 Jahren, dass Yoga Posen populär geworden sind, nicht zuletzt durch die Globalisierung, die es indischen Yogis wie Swami Vivekananda (als vermutlich erster bekannter Yogi in den USA), Yogananda, Pathabi Jois, Osho, etc erleichtert hat, in andere Länder zu reisen und dort Yoga zu präsentieren. Vor allem Indra Devi (hat unter Sri Krishnamacharya gelernt) als erste Yogini im Westen, hat in den USA eine maßgebliche Rolle gespielt, Yoga als körperliches Workout populär zu machen und damalige soziale Konventionen zu brechen, was als revolutionärer Akt für das Frauenbild gesehen werden kann. Fast jeder kennt B.K.S. Iyengar, der durch seinen Fokus auf die körperliche Anatomie, Yoga als therapeutisches Instrument nutzt, hat dazu beigetragen, Āsana als einen fundamentalen Teil des Yoga zu etablieren.

Selbst in einigen frühen Haṭhayoga Quellen wird Āsana auch als Heilung von Krankheiten angeführt. Das ist unserer heutigen Sicht auf Yoga Posen schon wesentlich näher. Heute praktizieren wir Āsana u.a. zur Vorbeugung von Krankheit, um uns fit zu halten, flexibel zu sein, emotional zu heilen, achtsam zu werden und vieles mehr. Ein Blick zu Instagram reicht jedoch, um festzustellen, wie weit das Verständnis von Yoga sich in eine oberflächliche Idee von Körperposen gedreht hat. Die einst nach innen gerichtete Meditationspraxis mutiert zum Gegenteil ihrer ursprünglichen Idee und reduziert sich auf ein Darstellungsobjekt zwischen Sex sells und Trendsport. Nichtsdestotrotz leben wir in einer Welt, in welcher der Körper meist zu wenig Bewegung hat oder nur oberflächlich betrachtet wird, und für beides hilft eine bewusste Yoga-Āsana-Praxis sehr. Während 2020 das am meisten neu gestartete Hobby “Online Yoga” war, zeigt wie populär sich Yoga in der Welt verbereitet hat. Dieser Trend kann aus zwei Gründen positiv gesehen werden, jeder wird dort abgeholt, wo er derzeit steht, und muss sich nicht gleich Mantrachants zu indischen Gottheiten hingeben in der ersten Yogastunde. Zweitens macht es den Einstieg leicht, wenn es erst einmal nur um Bewegung geht und die Tiefen der Yogalehren können sich von dort nach und nach entfalten und das ursprüngliche Motiv ablösen.

Meinung

Persönlich glaube ich, wir brauchen die Vielfalt der Āsanas, sie sind heilend und machen spaß, und gleichzeitig sind sie nach wie vor eine gute Vorbereitung auf Meditation, das in allen Fällen Teil der Yoga Praxis werden sollte. Damals wie heute.

Cedric is head teacher of INEA•YOGA a Yoga School in Corfu, Greece. Check us out to find trainings, retreats and online videos.

Cedric Stein
Cedric Stein
Head Teacher INEA • YOGA

My mission is to create a safe space for you to connect to your inner being. By following your breath, being in the present moment and noticing yourself.

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